Streifzüge vor der eigenen Haustüre

Ich bin Jon Bollmann, Gründer und Herausgeber des Schweizer Magazins Transhelvetica, das die Kunst des Reisens pflegt.
Kürzlich schrieb mir ein ehemaliger Professor, es wäre natürlich nicht ok gewesen, dass ich seinerzeit die Vorlesungen geschwänzt habe, um im grosszügig abgesteckten Umkreis meiner Universitätsstadt versteckte Orte zu erkunden, aber es habe sich ja dann doch durchaus gelohnt. Damals, während meines Jura-Studiums in Fribourg, habe ich meine Freizeit und mein GA genutzt, um feine Restaurants, coole Anlässe, geheimnisvolle Ruinen und überraschende Sammlungen aufzuspüren. Auch jetzt zieht es mich oft spontan raus, dann schnappe ich mir meinen Rucksack, gute Schuhe und warme Kleidung. Noch ein paar Goodies für den Hund, mehr braucht es eigentlich nicht. Und so ist das Unterwegssein zu meinem Wohlfühlzustand geworden. Auf dem Sofa zu sitzen, das kann ich nicht so gut.

Die Schweiz im März riecht für mich trocken, kalt und frisch, im Sommer nach warmer Sonne auf Rasen. Das ist für mich sehr schweizerisch, sehr Heimat.
Aus meinen Fahrten ins Blaue als Student ist später die Idee erwachsen, ein Magazin für neugierige Schweizentdecker zu machen. Jede Ausgabe widmet sich einem Thema und packt tolle Geschichten aus der ganzen Schweiz zusammen. In über zehn Jahren Transhelvetica habe ich dieses Land sehr gut und umfassend kennengelernt und entdecke doch noch immer Neues. Denn das Land ist voller schräger Vögel und schöner Landschaften, die Einem das Reisen im eigenen Land spassig machen können. Man muss nur davon wissen...
Mit dem Magazin möchten wir etwas Schönes schaffen, ein Objekt, das man gerne hat und ja nicht wegschmeisst. Und ich möchte dabei die ganze Welt vor der Haustüre entdecken, denn die Schweiz hat, obwohl sie nicht gerade gross ist, so viel zu bieten.
Für Wandersleute genauso wie für Wasserratten, Schlemmer, Kulturfreunde, Bergsteiger, Entdecker, Künstler oder Familien.
Und ich bin ja das alles, also nicht gleichzeitig, aber eben in der Summe. Freitags Büromensch, am Samstag Abenteurer und sonntags auch mal einfach Familienmensch mit Hund. Ich bin optimistisch und neugierig, will alles mal ausprobieren, ohne Plan unterwegs sein und am Strassenrand Abenteuer zusammenlesen. Und vielleicht will ich auch irgendwann, wenn ich mal gross bin, noch Architekt werden, denn auf meinen Streifzügen sehe ich so viele lieblose Bauwerke, die würde ich gerne anders gestalten.
Wenn ich mit dem Tram zu meinem Zürcher Büro im Alten Bahnhof Letten fahre, ist das Arbeitsweg, wenn ich aber vielleicht mal eine Station eher aussteige und den Rest laufe, dann beginnt schon eine kleine Reise. Da kommt mir direkt eine Idee: Ich könnte ja statt nur der direkten Verbindung einmal allerlei ÖV-Routen von daheim zu meinem Büro entlangfahren …
Genau wie das Lesen im Magazin ist Reisen für mich etwas Langsames, voller Genuss und Zeit.
Und eh muss man die Antennen nicht immer auf vollem Empfang haben, finde ich.
So überkam mich gestern Abend daheim tatsächlich ein bisschen Langeweile. Das kommt eher selten vor. Und wie ich da sass, hat sich eine neue Idee in meinem Kopf breitgemacht und ich habe sie spontan direkt auf die Wand skizziert. Meine Frau hat’s noch nicht gesehen…

Auch beim Magazin machen wir als Team stets, worauf wir Lust haben: Mit den Seitenzahlen spielen, das Heft falsch herum binden, Rätsel stellen, die nicht aufgelöst werden (= Geheimtipps) oder mit Papier, Farben und Verpackung experimentieren. Wir suchen nach schrägen, schönen und mit viel Liebe gemachten Sachen, um sie dann mit Worten und Bildern zu einem Magazin zu formen. Für mich ist es toll, dass mir viele Türen und Tore geöffnet werden, damit ich von hinter den Kulissen berichten kann. So sehe ich in Küchen und Keller, die mir sonst als Gast oder Tourist verschlossen blieben. Wenn ich aktiv auf Menschen zu gehe, dann bin ich sehr schweizerisch und es ist mir wichtig, die Komfortzone anderer zu wahren. Einmal hatten wir eine Geburtstagsfeier mit Freunden in einer Bar und plötzlich spazierte Clint Eastwood herein. Ich habe mich dann irgendwann zu ihm rüber getraut und habe ihn auf einen Drink zu uns an den Tisch eingeladen. Er hat nur unbeeindruckt den Kopf geschüttelt. Man muss eben bei aller Neugier auch die Komfortzone der anderen respektieren.

Als ich Transhelvetica mit meiner Partnerin 2010 gegründet habe, war ich 37 und die Wirtschaft auf einem Tiefpunkt. Ich denke, das war auch unser Glück, denn von unten geht es immer bergauf und wird mit jedem Stückchen noch schöner.
Wenn mir auf meinem Weg ein Hindernis begegnet, schaue ich es mir genau an und finde heraus, warum es da ist. Ich versuche es zur Seite zu schaffen, in etwas Gutes zu drehen oder ich gehe halt drum herum. Wenn notwendig, drehe ich auch mal ganz um. Einfach mal machen, das ist sicher der erste Schritt beim Loslegen mit einem Projekt. Aber es braucht auch ein paar schonungslose Überlegungen und einen Realitycheck. Man muss auch erkennen und loslassen können, wenn es nicht klappt. Das ist wie im Casino. Wenn man aber etwas mit Leidenschaft macht, dann wird man früher oder später auch Erfolg haben, davon bin ich überzeugt.
Comments